Wintergast

Immer wieder finden sich solche Exemplare in unserer Station ein- meist handelt es sich um juvenile- also noch nicht erwachsene Rabenkrähen. In der Regel werden die Rabenkrähen gebracht, weil sie völlig flugunfähig sind. Die Schäden sind mal mehr, mal weniger ausgeprägt – manchmal kommen noch Deformationen der Beine hinzu. In den allermeisten Fällen handelt es sich gerade nicht um Handaufzuchten, sondern tatsächlich um wild aufgewachsene Vögel. Wie kann es aber in der Natur zu einer solchen Entwicklung kommen?

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Außerhalb von Wohnbereichen und Städten, in den sogenannten ländlichen Bereichen gibt es solche Tiere nicht. Dort, wo noch halbwegs intakte Lebensraumstrukturen vorhanden sind, kann es zu solchen Entwicklungen nicht kommen, da der Grundstein dieser weißen Federn in einer nicht ausgewogenen Ernährung zu suchen ist. Rabenkrähen sind nahezu Allesfresser- von Obst über Sämereien, Insekten und Weichtieren bis hin zu Kleinsäugern und Aas. Vor allem die Aufnahme von Aas macht die Krähen für die Natur so wichtig. Aber auch für Krähen wird die Nahrungsbeschaffung in der freien Wildbahn häufig durch Monokulturen, durch fehlende Futterpflanzen für Insekten oder trockengelegten Feuchtgebiete immer schwieriger. Wie bequem ist es also, sich vom Drive-In Parkplatz Pommes oder halbe Hamburger zu sammeln. Hinter Discountern die Müllkontainer zu durchstöbern oder das Katzenfutter aufzunehmen, das allerorts in den Gärten zu finden ist. Mülltonnen auf Schulhöfen, Autobahnrandstreifen, Fußgängerzonen – es findet sich für die schlauen Rabenkrähen ein reich gedeckter Tisch. Und so kommt es häufiger vor, dass Elterntiere ihre Jungvögel mit eben diesen Resten aufziehen. Diese Jungvögel, die bereits mit einer enormen Belastung des Verdauungstraktes zurecht kommen müssen, sollen gleichzeitig wachsen, Federn ausbilden und ein starkes Immunsystem aufbauen. Die Fehlernährung führt zu Einbrüchen im Stoffwechsel, es kommt zu einer Schwächung des Immunsystems. Fehlendes Kalzium und Vitamin D3 zeigen sich langsam in deformierten Beinen und Zehen. Das schwächelnde Immunsystem lässt den Parasitendruck enorm ansteigen. Verschiedene Milben, die wirtsspezifisch und an bestimmte Federarten gebunden sind, können sich gut ausbreiten und richten entsprechend Schaden an- führen unter Umständen zu massiven Entzündungen am Federursprung. Federlinge hingegen ernähren sich von Federkreatin und zerstören die Fahnen der Federn. Folgen sind eine fehlerhafte Regulierung der Körpertemperatur und eine Zerstörung der wasserabweisenden Wirkung. Das Allgemeinbefinden wird zunehmend schlechter. Schaffen es die Federn tatsächlich auf eine akzeptable Größe beginnt die junge Krähe mit den Flugübungen. Es kommt zum Wegbrechen der Schwungfedern, weil ihnen die nötige Stabilität fehlt, um den Vogel zu tragen. Damit haben die Jungkrähen keine Ãœberlebens-Chance mehr. Als reine Bodenläufer sind sie nun mal nicht gebaut.

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Die Behandlung einer solchen Krähe erfordert viel Geduld – vor allem viel Geduld vom Patienten selbst. Oft kommen die Tiere so geschwächt, dass sie erst mal temperiert sitzen und mit speziellem Futter aufgepäppelt werden müssen. Eine parasitäre Behandlung reicht oft nicht aus, manchmal müssen bereits ausgeprägte Entzündungen mit behandelt werden. Leider ist bei den Vögeln die Mauser anders gestaltet als der Fellwechsel beim Säuger- die Schwungfedern z.B. werden paarweise in genau festgelegter Reihenfolge gewechselt, damit der Vogel während der Mauser nicht flugunfähig wird. Schwung- und Sturzfedern werden bei Rabenkrähen erst nach der Brutzeit gewechselt – der Wechsel dauert allein 8 – 12 Wochen. Für uns heißt das : Wir haben es mit Patienten zu tun, die im besten Falle ein Jahr bei uns bleiben, im schlimmsten Falle zwei Jahre bleiben müssen, bis sie wieder flugfähig sind. 

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